Welche Rolle haben levitische Opfer bei der Sündenvergebung?
Wie selbstverständlich lesen wir in den fünf Büchern Mose von blutigen Tieropfern, die dem dreieinen Schöpfer Jahwe dargebracht werden und als Teil der Bundesbestimmungen an das Volk Israel auch geboten sind. Im dritten Buch Mose heißt es sogar, dass die sündigenden Israeliten infolge dieser Opfer Vergebung empfangen (3Mo 4,20). Im Neuen Testament lehrt der Hebräerbrief über die Erhabenheit des Herrn Jesus Christus vor dem Hintergrund des dritten Buches Mose. Im Kapitel 10 des Hebräerbriefs heißt es wiederholt, dass die levitischen Tieropfer „niemals Sünden hinwegnehmen können“(Hebr 10,4.11).1 Wie aber passt es zusammen, dass diese Opfer auf der einen Seite Vergebung bewirkten, auf der anderen Seite aber keine Sünden wegnehmen können? Die Untersuchung dieser Frage ist Aufgabe dieses Thesenpapiers.
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Zeitaufwand: ca. 10 Min | Daniel Westermann | 12.08.2020
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Das Wesen des Mosaischen Bundes
Der Mosaische Bund im Alten Testament (AT) wird auch „Gesetz Moses” oder das „Gesetz“ genannt. Das Gesetz Moses ist eine Einheit (Jak 2,10) und gleichzeitig ein zweiseitiger Bund zwischen Jahwe und dem Volk Israel, weshalb der Bund besser der „Israelitische“ Bund genannt werden sollte (2Mo 19,5-6). Wir bleiben hier jedoch bei der gängigen Bezeichnung „Mosaischer Bund,“ die den Mittler des Bundes hervorhebt. Der Mosaische Bund hebt den vorherigen Bund mit Abraham nicht auf (Gal 3,17).
Die Bundesgemeinschaft des Volkes Israel umfasste sowohl gläubige als auch ungläubige Israeliten. Die Segnungen des Mosaischen Bundes waren an die Bedingung des Gehorsams gegenüber den Bundesbestimmungen geknüpft (5Mo 11,26-28). Die Erfüllung dieser Bestimmungen erlaubte es dem Volk Israel, die Segnungen des Abrahamitischen Bundes zu erfahren, nämlich als Volk im verheißenen Land als Zeugnis für die umliegenden Nationen zu leben und die Abstammungslinie des Messias weiterzuführen (1Mo 12,6-7; 15,5; 17,6; 22,18). Die Bundesbestimmungen umfassen Verordnungen zum sozialen Leben und zur Anbetung Jahwes.
Allein die äußerlichen Rituale einzuhalten ohne eine gläubige und gottesfürchtige Herzenshaltung darzubringen, verdreht das Gesetz (Micha 6,6-8). Gehorsam gegenüber den Bestimmungen stellte die Beziehung zu Jahwe nicht von Grund auf her, sondern drückte die bestehende Beziehung im Leben aus (2Mo 20,2). Das Gesetz ist darum eine Lebensregel und kein Mittel zum ewigen Heil. Niemand kann durch Werke des Gesetzes vor Gottes gerechter Strafe für Sünde gerettet werden (Gal 2,16).
Levitische Opfer im Mosaischen Bund
Die Segnungen des Mosaischen Bundes umfassen auch die von Gott befohlenen Tieropfer sowie den Tag der Versöhnung von dem es heißt:
„Denn an diesem Tag wird für euch Sühnung erwirkt, um euch zu reinigen; von allen euren Sünden sollt ihr gereinigt werden vor dem HERRN.“ (3Mo 16,30)
Diese Aussage stellt nicht nur eine mögliche Reinigung in Aussicht, sondern sagt eine effektive Reinigung von allen Sünden zu. Ähnlich ist es mit den levitischen Tieropfern. Wiederholt verspricht Jahwe die Sündenvergebung als Ergebnis der Tötung des Opfertiers und der Darbringung des Opfers durch den Priester:
„Und er soll mit diesem Jungstier verfahren, wie er mit dem Jungstier des Sündopfers verfahren ist; genauso soll auch mit diesem verfahren werden. Und der Priester soll für sie Sühnung erwirken, und es wird ihnen vergeben werden.“ (3Mo 4,20; vgl. 4,26.31.35; 5,10.13.16.18; 6,7; 12,8; 14,20).
Infolge der dargebrachten Opfer empfingen die Israeliten Sühnung und Vergebung, also ihre Schuld und Strafe wurde tatsächlich weggenommen und Jahwe wurde zufriedengestellt, sodass Er sich von seinem Zorn abwandte.2
Levitische Opfer und der Hebräerbrief
Im Neuen Testament (NT) lesen wir im Hebräerbrief eine Bestätigung der Tatsache, dass die Israeliten Vergebung infolge von blutigen Tieropfern empfingen:
„und fast alles wird nach dem Gesetz mit Blut gereinigt, und ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung.“ (Hebr 9,22)
Wenig später schreibt der Autor jedoch:
„Denn unmöglich kann das Blut von Stieren und Böcken Sünden hinwegnehmen!“ (10,4)
Damit stellt sich die Frage, wie diese Aussagen zusammenpassen. Ist es möglich, dass die „Vergebung“ (9,22) und „Sünden hinwegnehmen“ (10,4) unterschiedliche Vorgänge bezeichnen?
Das Konzept der weggenommenen Sünden finden wir im Römerbrief, wo Paulus die Hoffnung der geistlichen Errettung Israels mit dem AT untermauert (Röm 11,27). Doch auch das Wort „Vergebung“ ist nicht weniger gewichtig, denn David setzt die Vergebung damit gleich, dass Jahwe die Sünde bedeckt und die Schuld nicht zurechnet (Ps 32,1-2). Die Septuaginta (LXX) gebraucht in Psalm 32 dasselbe Wort für „Vergebung“ wie in Hebräer 9. Wenn wir eine Unterscheidung zwischen der „Vergebung“ und dem „Sünden Hinwegnehmen“ machen müssten, so wäre die Sühne der hinweg genommenen Sünde die Grundlage, auf der Jahwe Vergebung schenkt.
Abgesehen davon bleibt bestehen, dass „Vergebung“ und „Sünden hinwegnehmen“ synonym also nahezu gleichbedeutend sind. Daraus könnte man schließen, dass sich die Bibel an dieser Stelle widerspricht. Jeder gute Bibelstudent ist an dieser Stelle gewarnt, seine Schlussfolgerung zunächst noch einmal an der Absicht des Autors, dem Textzusammenhang und schließlich am Schriftzusammenhang zu prüfen.
Der Autor des Hebräerbriefs schrieb an Christen mit jüdischem Hintergrund, um sie vom überwältigenden Vorrang Christi zu überzeugen und sie vor einer fatalen Rückkehr zum Alten Bund zu warnen. Im Abschnitt in Kapitel 9 erinnert er sie an Zentralität des Blutes zum Zweck der Heiligung und Reinigung unter dem Alten Bund. Im Blut ist das Leben und wenn Blut vergossen wird, so steht das sinnbildlich für den Tod (3Mo 17,14). Warum wählte Gott ausgerechnet diese Weise für die Sühnung von Schuld? Sünde, die Übertretung seines Gesetzes, verdient die Höchststrafe, nämlich den Tod (Röm 6,23). Als Befriedigung des Zornes Gottes muss der Schuldige selbst oder ein Stellvertreter sein Blut und damit sein Leben lassen, weshalb auch der erhabenere Stellvertreter Christus sein Blut vergossen hat (Hebr 9,14). John MacArthur schreibt dazu:
„Das Grundsymbol konnte nicht geändert werden, da das, was es symbolisierte, nicht geändert werden konnte. ‚Denn das Leben des Fleisches ist im Blut, und ich habe es euch auf den Altar gegeben, um Sühnung zu erwirken für eure Seelen. Denn das Blut ist es, das Sühnung erwirkt für die Seele.’ (3Mo 17,11). Da die Strafe für die Sünde der Tod ist, kann nichts als der Tod, der durch Blutvergießen symbolisiert wird, für die Sünde sühnen.“3
Ab Kapitel 9 Vers 24 jedoch beginnt der Autor die Einzigartigkeit und den Vorrang Christi über das alttestamentliche Opfersystem darzulegen. In diesem Zusammenhang steht die Aussage: „Denn unmöglich kann das Blut von Stieren und Böcken Sünden hinwegnehmen!“ (10,4). In Kapitel 9 Vers 22 geht es also um die Notwendigkeit des blutigen Opfers und in Kapitel 10 Vers 4 geht es um die Erhabenheit des Opfers Christi.
Fragen zur Wirksamkeit der levitischen Opfer
Auf der gelegten Grundlage wollen wir das Wesen der alttestamentlichen Opfer anhand darauf aufbauender Fragen weiter verdeutlichen.
Wir haben gesehen, dass levitische Opfer, die gemäß Jahwes Anweisung dargebracht wurden, zur Vergebung führten (3Mo 4,20 etc). Von welcher Art ist diese Vergebung? Ist die Vergebung in irgendeiner Hinsicht begrenzt oder ist es eine ewig gültige Vergebung hinsichtlich der spezifischen Sünde, um die es geht?
Denken wir hier nur an ein Beispiel aus dem vierten Buch Mose Kapitel 16. Die Familie Korahs des Leviten tat sich mit einigen Rubenitern zusammen, um gegen Mose zu rebellieren. Interessanterweise sind an dieser Rebellion ausgerechnet Leviten beteiligt, die mit dem Dienst an der Stiftshütte betraut waren. Auch für ihre Sünden wurden die Opfer am Versöhnungstag dargebracht und auch sie empfingen Reinigung von ihren Sünden (3Mo 16,30). Dennoch wird ihre Rebellion von Jahwe drastisch geahndet:
„und die Erde tat ihren Mund auf und verschlang sie samt ihren Familien und alle Menschen, die Korah anhingen, und all ihre Habe“ (4Mo 16,32).
Dieses Beispiel soll genügen, um zu belegen, dass wenn die Vergebung durch die alttestamentlichen Opfer nicht einmal für die Lebzeit ausreichte, sie erst recht keine ewige Vergebung bewirkten.
Waren die levitischen Opfer jemals wirksam zur Vergebung der Sünde, wenn der Opfernde alle Vorschriften hielt, jedoch keinen rettenden Glauben hatte?
Die levitischen Opfer waren untrennbar mit dem Gottesdienst für Jahwe verknüpft und als äußerer Ausdruck des inneren Glaubens an Jahwe gedacht. Ohne Glauben konnte und kann kein Opfer Jahwe gefallen (3Mo 26,31; Ps 51,16-17; Spr 21,27; Amos 5,21-24; Hebr 11,4). Doch selbst ohne vorhandenen Glauben konnten die levitischen Opfer wie z.B. am Versöhnungstag gemäß Jahwes Barmherzigkeit zeremonielle Reinigung und zeitlich begrenzte Vergebung für die Übertretungen der Bundesbestimmungen bewirken. Die Vergebung am Versöhnungstag umfasste ausdrücklich alle Israeliten und alle Sünden (3Mo 16,22.33-34). Die auf diese Weise erwirkte Sühne stellte die gemeinschaftliche Beziehung des Bundesvolkes zu Jahwe wieder her. In Folge dessen durften die Israeliten weiter in Gottes Gegenwart wohnen und wurden nicht abgetrennt und ausgeschlossen.
Levitische Opfer waren jedoch niemals in sich selbst wirksam zur Sühnung von Sünde. Das vergossene Tierblut war niemals der letztendliche Grund, weshalb Jahwe die Sünde vorübergehend nicht ahndete und die Israeliten weiterhin in seiner Gegenwart duldete. Der letztendliche Grund der Vergebung war das Opfer Jesu. Jedes Tieropfer blickte voraus auf das vollkommene Opferlamm Gottes – Christus – der von Grundlegung der Welt an geschlachtet ist (Offb 13,8; vgl. 1Pt 1,19-20). Jedes Opfer des Alten Bundes empfing seine Wirksamkeit vom einmaligen und in seiner Kapazität unbegrenzten Opfer Jesu (Hebr 9,11-10,18).
Wie wenn überhaupt war ewige Vergebung zur Zeit des AT möglich, wenn nicht durch die levitischen Opfer?
Materielle Opfer waren niemals imstande eine innere Veränderung des Herzens zu bewirken. Solche Opfer konnten weder das Gewissen dauerhaft von Schuldenlast befreien noch die sündige Natur entfernen (Hebr 10,2). Außerdem konnte selbst ein makelloses Tieropfer einen sündigen Menschen nicht tatsächlich vertreten (Ps 49,5-9).
Wie war ewige Vergebung möglich? So wie zu jeder Zeit, nämlich nur durch den Glauben an Jahwe, der in seiner allmächtigen Gnade einen Weg schuf, wie sündige Menschen vom heiligen Gott begnadigt und gerechtfertigt werden können (Röm 3,24-26). Dabei konnten Menschen vor dem ersten Kommen Jesu nicht auf das geschehene Sühnewerk des Messias zurückblicken, aber sie waren aufgefordert Jahwe zu glauben, was immer Er ihnen bis zu diesem Zeitpunkt offenbart hatte. Abraham glaubte und wurde auf der Grundlage seines Glaubens an Jahwe gerechtfertigt (1Mo 15,6). Sein Glaube war davon gekennzeichnet, dass er vertraute, dass Jahwe ein Opferlamm ersehen würde (1Mo 22,8). Dieser Glaube erfüllte sich im geringeren Fall von Isaak (22,14). Es ist anzunehmen, dass Abraham auch im größeren Fall der Erlösung der Welt darauf vertraute, dass Jahwe ein vollkommenes Lamm bereitstellen würde.
Auch David wird als Beispiel für ewige Vergebung in Römer 4 zitiert. Analog zu Abraham wurde auch David nicht aufgrund von Werken, sondern aufgrund seines Glaubens für vergeben und gerecht erklärt (Röm 4,6-8). Diese Erfahrung der ewigen Vergebung kann nicht durch den Alten Bund kommen, denn sie ist das Geschenk des Neuen Bundes:
„und es wird keiner mehr seinen Nächsten und keiner mehr seinen Bruder lehren und sagen: »Erkenne den HERRN!« Denn sie werden mich alle kennen, vom Kleinsten bis zum Größten unter ihnen, spricht der HERR; denn ich werde ihre Missetat vergeben und an ihre Sünde nicht mehr gedenken!“ (Jeremia 31,34).
Nur durch den Neuen Bund kann die persönliche, zerbrochene Beziehung eines Menschen zu seinem Schöpfer Jahwe wieder erneuert und ungetrübte, heilige Gemeinschaft wie in Eden für immer wieder hergestellt werden – ohne die Möglichkeit eines zweiten Sündenfalls.
Schlussfolgerung
Levitische Opfer des Alten Bundes bewirkten für das Bundesvolk Israel zeremonielle Reinigung, Fortdauer des Wohnrechts in Gottes Gegenwart und zeitlich begrenzte Vergebung, selbst wenn der Israelit keinen rettenden Glauben an Jahwe hatte. In jedem Zeitalter war es das vollkommene Opfer Jesu Christi am Kreuz, das Tieropfer wirksam zur Vergebung machte. Die so geschehene Vergebung war zwar effektiv und real, jedoch temporär und vorübergehend. Darum schreibt der Autor des Hebräerbriefs zum einen, dass ohne Blutvergießen keine Vergebung geschieht, denn levitische Opfer führten zur effektiven Vergebung der Sünde. Im Vergleich zum vollkommenen Opfer Jesu jedoch stellte der Autor fest, dass Tieropfer Sünden niemals wegnehmen konnten, weil sie nur eine zeitlich vorübergehende Vergebung bewirkten. Zu jeder Zeit schenkte Jahwe persönliche, ewig gültige Vergebung nur durch den Glauben an Ihn und sein Wort und nur aufgrund seiner allmächtigen Gnade, die in dem Opfer und der Auferstehung Jesu Christi ihren höchsten Ausdruck gefunden hat.
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- Wenn nicht anders angegeben sind Bibelzitate in diesem Thesenpapier aus der Schlachter 2000 Übersetzung. ↩︎
- F. Duane Lindsey, „Leviticus“, in The Bible Knowledge Commentary: An Exposition of the Scriptures, ed. J. F. Walvoord und R. B. Zuck, Bd. 1 (Wheaton, IL: Victor Books, 1985), 175. ↩︎
- John F. MacArthur Jr., Hebrews, MacArthur New Testament Commentary (Chicago: Moody Press, 1983), 237–238. ↩︎
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- Weitere Quellen
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- Lindsey, F. Duane. „Leviticus.“ The Bible Knowledge Commentary: An Exposition of the Scriptures. Ed. J. F. Walvoord und R. B. Zuck. Bd. 1. Wheaton, IL: Victor Books, 1985.
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MacArthur, John, und Richard Mayhue, Hrsg. Biblical Doctrine: A Systematic Summary of Bible Truth. Wheaton, IL: Crossway, 2017.
MacArthur Jr., John F. Hebrews. MacArthur New Testament Commentary. Chicago: Moody Press, 1983.
Riccardi, Michael. „RE: Questions about Levitical Sacrifices and Forgiveness.“ Persönliche E-Mail. 14.01.2020.
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