„Eines der ersten Dinge die fertig wurden, war unser Büro, das die russlanddeutsche Gemeinde uns in einer kleinen Feieraktion übergab“, greift Wilhelm den Faden der Baustelle Wustrower Straße 52 wieder auf. Seit Beginn der Bau- und Renovierungsarbeiten war bei allen Einschränkungen, die diese Übergangszeit mit sich brachte, doch vor allem eines beeindruckend gewesen: Einsatz und Geschick jener Geschwister aus der ECG, die sich in eine baldige Fertigstellung investierten. So kam es bereits am 26. Mai 2007 zur Eröffnung: An diesem Samstag gab der Tag der offenen Tür auch Außenstehenden eine Möglichkeit, die neue Heimat der beiden Gemeinden kennen zu lernen und etwas über ihren Dienst bzw. ihr Anliegen zu erfahren. Einen Tag später gab es um 14 Uhr einen Festgottesdienst zur Einweihung. Etwas bescheidener als beispielsweise bei der Einweihung des Tempels unter Salomo – aber ebenso mit einem Herzen voll Freude und Dankbarkeit!
… und auch mit Zuversicht und Tatendrang, wie Bea Einblick gewährt: „Als die Trennwand im Gottesdienstraum wegkam, war unglaublich viel Platz und wir kamen uns sehr verloren vor. Da hat Dieter zu uns gesagt: ‚So Leute, jetzt haben wir etwas zu tun: Evangelisieren bis der Raum voll ist!’“
Sowohl dem Ältesten beim Tätigen dieser Aussage, als auch einem jeden in der Bibelgemeinde war klar, dass dies nicht in der Macht der Menschen steht. Natürlich hätte man in den neuen Räumlichkeiten viel mehr Möglichkeiten, mit den verschiedensten Mitteln Leute aus der näheren und weiteren Umgebung in die Gemeinde zu bringen – aber so wie man sie angelockt hätte, hätten sie auch gefüttert werden wollen. Spätestens nach ein paar langen und ernsten Predigten, eindringlichen Aufforderungen und Ermahnungen und einem Verständnis dafür, was die Bibelgemeinde tatsächlich lebte und umsetzte, hätten solche Menschen wohl bald wieder das Weite gesucht.
So hatten die Bibelgemeindler in den vergangenen Jahren schon das ein oder andere Mal traurig feststellen müssen, dass es nur wenige waren, die den Aufrufen folgten – wie Jesus Christus es mit der engen Pforte und dem schmalen Weg treffend zu illustrieren wusste. Leider hatte es sogar hin und wieder solche gegeben, die einige Zeit lang kamen und vieles anhörten und mitmachten, aber sich schließlich doch wieder von selbst abwandten oder ernstlichen Ermahnungen der Ältesten und anderer Geschwister zum Umdenken und Umkehren nicht nachkommen wollten. Wenngleich solche Fälle besonders schmerzlich sind, so sind sie doch auf der anderen Seite auch mit einem Funken Hoffnung verbunden, da diese Menschen zumindest durch Konfrontation und Ermahnung aufgefordert werden, ihr Denken und Handeln zu hinterfragen und sich auf ihr Bekenntnis zum Herrn und zur Nachfolge in Seinen Fußstapfen zu prüfen. Wie schrecklich ist es dagegen, wenn jemand Woche für Woche als „Namenschrist“ zur Gemeinde kommt und am Ende vor Seinem Gott und Richter ein böses Erwachen erlebt, wenn er die Worte hören muss „Ich habe dich niemals gekannt. Weiche von mir, du Übeltäter.“[1] Möge die BiGeBe und eine jede Gemeinde Christi Treue darin beweisen, ihre Mitglieder und Besucher zur Selbstprüfung aufzurufen und durch gesunde Lehre und gelebtes Zeugnis zur Überführung beitragen.
Bei allen traurigen Kapiteln gibt es aber auch eine ganze Reihe Gründe zum Danken. Zunächst war da die Taufe von Dirk, Paul und Bijou G. Die beiden Männer gingen schon mehrere Jahre mit dem Herrn und bezeugten ihren Glauben immer wieder auch solchen, die ohne Gott lebten. Lange Zeit hatten sie nicht gewusst, dass die Bibel sie dazu aufforderte, dieses neue Leben in ihnen auch durch die Taufe zu bekunden. Das hielt sie aber nicht davon ab, es noch nachzuholen, als sie es verstanden hatten. Auch Bijou kannte am Tag ihrer Taufe, dem 12. August 2007, den Herrn bereits seit 12 Jahren und 364 Tagen ihres jungen Lebens. Dennoch war sie sich bewusst, dass sie nicht durch ihre gottesfürchtigen Eltern, sondern nur durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi, gerettet werden konnte. Während auch in dieser Darstellung der Gemeindegeschichte oft solchen, die radikale Lebenswandel hinter sich haben, mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, ist das Wunder bei Kindern aus gläubigen Elternhäusern keinen Deut geringer! Bei allem Schwerpunkt auf Ehe, Familie und Kindererziehung in der Bibelgemeinde, kann doch kein noch so vorbildlicher Ältester seine Kinder erretten. Wohl können gute Grundsteine gelegt werden, aber wie der Prophet Jeremia sagt: „Kann ein Schwarzer seine Haut ändern, ein Leopard seine Flecken? Dann könntet auch ihr Gutes tun, die ihr an Bösestun gewöhnt seid.“[2] Ein wirkliches Umdenken kann nur dann geschehen, wenn der Herr unser steinernes Herz mit einem fleischernen Herz ersetzt. Dies nun war auch im Leben von Dirk, Paul und Bijou geschehen – Halleluja!
Ein weiterer Grund zum Danken bestand in sich füllenden Plätzen im neuen großen Gottesdienstsaal: Zunächst wären da Lydia H. und Ruth G. zu nennen, die Ende 2006/Anfang 2007 ihren Eltern und Geschwistern geschenkt wurden und als „Küken“ nun die beiden Jüngsten Lukas-Noah und Timotheus beerbten, die mittlerweile bereits ihre ersten Gehversuche machten. Das Füllen der Stühle im Gottesdienstsaal konnten sie aber nur ansatzweise bewerkstelligen und mussten dies folglich anderen überlassen.
Zum Beispiel Bettina W.[3] Im Sommer 2007 hatte sie einen Flyer der BiGeBe in ihrem Briefkasten vorgefunden, der den Titel trug: „Was denkst du wer ich bin?“ Das selbst erstellte Flugblatt gab eine knappe aber deutliche Ausführung, wer Jesus Christus war und ist. Bei einer Verteilaktion, die wieder mit großer Unterstützung der Sommerteams aus der Grace Community Church (Kalifornien), sowie in diesem Jahr auch wieder aus der Grace Bible Church (Washington), durchgeführt wurden, hatte ein Exemplar auch Bettina erreichen können. Sie schrieb daraufhin einen Brief an die BiGeBe und hinterließ ihre Handynummer. „Direkt am nächsten Tag rief mich dann jemand auf dem Handy an: Pastor Cary“, berichtet die in Berlin geborene und aufgewachsene Frau von ihrem ersten Kontakt mit der Gemeinde in Wartenberg, „er telefonierte dann länger mit mir, lernte mich kennen und erzählte mir aus der Bibel. Und dann wurde ich eingeladen, am Mittwoch in die Bibelstunde zu kommen.“
Bettina ist in einem ungläubigen Elternhaus aufgewachsen. Dennoch traten immer wieder Menschen in ihr Leben, die sie auf Gott aufmerksam machten und Fragen aufwarfen. Auch „habe ich mir schon immer gerne Kirchen angeschaut. In Weißensee habe ich stets die Kirche gesehen und sah ihren Kerzenschein durch die Türe. Danach habe ich mich immer sehr gesehnt, weil mir in meiner Kindheit diese Geborgenheit gefehlt hat.“ Unter anderem hörte sie Fernsehpredigten, besuchte verschiedene Kirchen und trat einmal einem Kirchenchor bei. „Vor allem habe ich nach Gemeinschaft gesucht“, gibt Bettina Einblick in ihr Anliegen beim Besuch verschiedener Kirchen; insbesondere suchte sie auch in der Hohenschönhausener Gegend – bis eines Tages jener Flyer in ihrem Briefkasten lag.
Die ersten Besuche in der Gemeinde mündeten sogleich in Einladungen bei einzelnen BiGeBelern. Aber auch Ermahnungen zur Selbstprüfung auf rettenden Glauben wurden öfter an die neue Besucherin gerichtet. Sie selbst bezeugt rückblickend: „Ich war schon in Anführungsstrichen gläubig, aber habe erst in der Bibelgemeinde die Dinge der Bibel und das Evangelium richtig verstehen gelernt.“ Ihr Hunger nach Gottes Wort war groß – war sie doch so lange auf einer unbefriedigenden Suche nach Worten der Wahrheit gewesen. Und auch scheinbar Unmögliches wurde für die 35-jährige möglich, wie sie weiterhin berichtet: „Als sie in der Gemeinde Bibelverse lernten, dachte ich, das werde ich nie schaffen. Aber Bea sagte mir immer: ‚Komm, versuche es doch mal.’ Und dann habe ich im Johannesevangelium angefangen und gelernt. Ich staunte, dass ich tatsächlich Bibelverse lernen und beherrschen konnte und habe mich wahnsinnig darüber gefreut und Gott viel dafür gedankt!“
Während Bettina sich also Verse aus dem Evangelium des Johannes vornahm, hatten sich auch die Ältesten der Gemeinde entschieden, gemeinsam mit ihren Geschwistern den 1. Petrusbrief auswendig zu lernen. Im Spätsommer 2006 startete das Vorhaben, sich die 105 Verse Woche für Woche zu eigen zu machen. Als ein Bibelbuch, das in besonderer Weise auf die Leiden und Anfechtungen der frühen Christenheit eingeht, sahen die Ältesten dieses Schreiben des Petrus als sehr geeignet an, es für gewiss kommende Verfolgungszeiten im Gedächtnis zu haben: Auch ohne eine Bibel in der Hand könnte man es dann vor dem geistigen Auge aufschlagen, durchgehen und dadurch ermutigt werden. Mehr oder weniger jeder Bibelgemeindler lernte während der folgenden zwei Jahre nach seinen Möglichkeiten Verse auswendig – jede Woche kam einer dazu. Zum Wiederholen trafen sich einige Geschwister eine Zeit lang Samstagabends bei Familie G., um sich gemeinsam zum Lernen zu motivieren und ihren Lernstand zu prüfen. Wie Bettina erfuhren auch all jene, die an dem „Petrus-Projekt“ teilnahmen, viel von dem großen Segen, Worte Gottes auswendig zu beherrschen und in jeder Situation darüber nachsinnen zu können, bzw. sich dazu ermutigen zu lassen, im Einklang mit dem offenbarten Willen Gottes durch das Leben zu gehen.
Natürlich wurde auch ansonsten 2007 wieder viel in die Belehrung und Zurüstung der Gemeinde investiert. Neben den Büchern des Neuen Testaments, die in Bibelstunden behandelt wurden, wurde auch ein Kurs zur Bibelauslegung gelehrt, der den Geschwistern mehr und mehr Hilfen geben sollte, auch im persönlichen Bibelstudium keine falschen Schlüsse zu ziehen, sondern das Wort Gottes sorgfältig zu studieren und richtig zu verstehen – wusste man doch, dass das Verständnis von Gott und Seinem Wort die Grundlage dafür bildete, wie ein jeder tagtäglich leben würde. Ein chronologischer Bibelkurs sollte wieder dazu beitragen, insbesondere Junggläubigen – aber auch allen anderen –, ein besseres Verständnis der biblischen Zusammenhänge zu vermitteln.
In diesem Jahr konnte außerdem Pascal G. seine dreijährige Predigerausbildung beim EBTC mit Bravour abschließen und durfte nun auch verstärkt in Gottesdiensten das Wort Gottes auslegen: Er startete eine längere Predigtserie durch den 1. Johannesbrief und konnte damit die beiden Ältesten in ihrem Verkündigungsdienst unterstützen.
Neben den bereits erwähnten Treffen der Männer am ersten Mittwoch des Monats nach der Bibelstunde zur Beschäftigung mit dem Amt des neutestamentlichen Diakons, ergab sich am Mittwochabend, der fortan übrigens im Sinne der Schriftstelle aus Kolosser 1,28 128-Abend genannt wurde, eine weitere Änderung: Die BiGeBe traf sich nun bereits eine Stunde früher zum gemeinsamen Gebet. Den Ältesten war es ein Anliegen, bei jeder Gebetsstunde zunächst eine Zeit der Anbetung Gottes zu nehmen und Ihn für Seine Größe, Seine Werke und Sein Wesen zu preisen – was zu einer von allen sehr geschätzten Tradition wurde. Diese gab auch für das persönliche Gebet oder Gebetsgemeinschaften in kleineren Kreisen Impulse, sich nicht bloß um sich selbst zu drehen, sondern dem großen Herrn zu huldigen, dem man sich nahen durfte! Außerdem wurde diese Gebetsstunde zu einer wertvollen Möglichkeit, über Neuigkeiten vom Missionsfeld oder aus dem Gemeindeleben zu hören und sich auch über persönliche Anliegen auszutauschen. Da viele Gemeindeglieder im näheren Umkreis der BiGeBe wohnten, konnte auch immer ein großer Teil der Bibelgemeindler zu jenen Treffen unter der Woche zusammen kommen, was das gegenseitige Kennen-, Verstehen- und Liebenlernen sehr förderte.
Das regelmäßige Erscheinen der Geschwister war für die Ältesten ein Grund zur Freude und Ermutigung, wollten sie doch – angestoßen durch die BGBJS – das ganze gemeindliche Jüngerschaftstraining umstrukturieren: Wenngleich Paulus in seinen drei Jahren in Ephesus die dortigen Geschwister „Tag und Nacht unter Tränen ermahnte“[4] und so zu geistlicher Reife führte, so war es doch auch für die BiGeBe-Hirten ein erklärtes Ziel, die ihnen Anvertrauten in drei Jahren umfassend zu belehren und in der Jüngerschaft zu trainieren. 128-Abend, Freitagabend und Sonntagmorgen sollten in einem dreijährigen Zeitraum mithilfe der bereits öfter durchgeführten Kurse „Grundlagen des Glaubens“, „Roter Faden durch die Bibel“ und „Training im Christentum“, sowie Bibelkunde AT und NT und ausgewählter Bereiche der systematischen Theologie eine gute Grundlage des Schriftverständnisses und des Lebens in der Nachfolge bieten. Dieses Bestreben würde Anfang 2009 zwar einen größeren Rückschlag hinnehmen müssen, bleibt im Rahmen des Möglichen aber weiterhin das Ziel der Ältesten in der Bibelgemeinde.
Schließlich sollte bei allen nicht erwähnten Themen und Kursen, mit denen die Geschwister sich im Jahre 2007 außerdem beschäftigten, doch zumindest noch eines besonders hervorgehoben werden: Das Erziehungsseminar im Herbst des Jahres. Über zwei Monate unterrichteten Cary und Dieter die Gemeindeglieder in Anlehnung an ein sehr hilfreiches Buch zu diesem Thema über Kindererziehung nach Gottes Willen. Zahlreiche junge Gemeindeglieder hatten ihr Elternhaus längst verlassen und waren dankbar für Fürsorge und Erziehung durch die Eltern, andere kamen aus zerbrochenen Familien und blickten traurig auf ihre Kindheit zurück – aber alle hatten noch sehr wenig selbst darüber gelernt, wie man Kinder biblisch erziehen kann. Wohl hatten sie schon gesehen, wie es Familie B., Familie G. und andere Familien in der Gemeinde praktizierten, aber für den ein oder anderen glich es eher einem Mysterium, dass es in dieser Welt noch Eltern geben konnte, die ihre Kinder aus inniger Liebe in der Zucht und Ermahnung des Herrn aufzogen und dass die Kinder nicht noch rebellischer und frecher wurden, sondern ihre Eltern liebten und ihnen – zumindest mit zunehmendem Alter – auch gerne gehorchten. So diente der Kurs ihnen als wunderbare Vorbereitung, sowohl für eigene Kinder – so der Herr es schenken würde – als auch für ein besseres Verständnis und einen weiseren Umgang mit den Gemeindekindern, denen sie Woche für Woche begegneten.
Bei allen Hilfen für die jungen Erwachsenen, die ja gerade in den letzten Monaten zur Bibelgemeinde gestoßen waren, richtete der Kurs sich selbstverständlich vor allem an die, die bereits Kinder hatten. Von Dirk und Svenja haben wir bereits gehört, dass es ihnen ein großes Anliegen war, in der Gemeinde vieles über ein Ehe- und Familienleben in Einklang mit dem Wort Gottes zu lernen. Ebenso wissen wir von Familie G. und Familie H., dass der Herr diese Familien mit Kindern gesegnet hatte, die wie die beiden Jungs von Familie W. schon in den allerersten Monaten und Jahren mit viel Weisheit und Einsicht erzogen werden wollten. Cary pflegte im Bezug auf das frühe Kindesalter zu sagen: „90% der Erziehung geschieht in den ersten sechs Jahren. Wenn du in dieser Zeit einen guten Grundstein gelegt hast, brauchst du in den folgenden Jahren nur noch leicht zu korrigieren.“ Familie G. und Familie B. konnten davon schon aus Erfahrung sprechen und es mit großer Freude und Dankbarkeit auch den jüngeren Familien weitergeben. Dass es Wirkung zeigte, stellte nicht nur Maria fest: „Einer der Gründe, warum die Gemeinde so ist, wie sie ist, ist dass sie vorbildliche Familien hat, die ihre Kinder nicht nur um des bloßen Gehorsams willen erziehen, sondern im Gehorsam gegenüber dem Herrn. Das ist so eine wichtige Grundlage für die Gemeinde, wenn gottesfürchtige Familien dahinter stehen.“
Aber damit sind noch nicht alle Familien erwähnt: Seit Sommer 2007 zählte eine weitere Familie zur Bibelgemeinde: Die Familie H. Sehr gerne würde der Autor mit einer phonetischen Lautschrift dem Leser die Aussprache erleichtern, muss aber leider darauf verzichten, weil sich seit ihrer Zugehörigkeit zur BiGeBe keine Version durchsetzen konnte: Matt H. ist Amerikaner mit finnischen Wurzeln, seine Frau Petra stammt aus Frankenberg in Nordhessen. Bezüglich ihrer Vornamen herrscht noch am meisten Klarheit – der eine englisch, der andere deutsch. Bei den Vornamen der Kinder kommt es aber bereits zu ernsthaften Problemen: Anna (Ende 2007 9 Jahre alt), Micha (8), Daniel (6) und David (4) tragen allesamt biblische Namen, die aus dem Hebräischen kommen und sowohl im Englischen als auch im Deutschen geläufig sind. Bezüglich der Kinder von Familie B. und Familie G. herrschte prinzipiell Klarheit – die einen wurden deutsch, die anderen englisch ausgesprochen –, bei Familie H. stand man aber vor einem echten Rätsel. Doch damit nicht genug: Eine wirkliche Herausforderung stellte der Nachname dar: „Hʊ…“, „Hɜ:…“ oder „Hu…“. Auch Matt und Petra konnten die große Verwirrung nicht wirklich auflösen: Während sie zuhause miteinander englisch redeten, um den Kindern neben dem Deutschen auch diese Sprache gut beizubringen, war es wohl ein Gemisch aus einerseits Mitleid mit den deutschen Geschwistern, dass sie auch eine deutsche Aussprache ihrer Namen tolerierten und manchmal gar unterstützten und andererseits eigene Unentschiedenheit, ob ihr Name nun finnisch, englisch oder deutsch auszusprechen sei…
Bei allen – zugegebenermaßen völlig nebensächlichen – Namensverwirrungen drängt sich nun aber die Frage auf, wie Familie H. nach Deutschland bzw. in die Bibelgemeinde kam. Matt beantwortet diese mit einer gesunden Portion amerikanischem Humor, den seine Geschwister in der Gemeinde schon bald kennen und schätzen lernten: „Wir sind nach Deutschland mit einem Flugzeug geflogen. So kamen wir nach Deutschland.“ Der Auftrag, in die Bundesrepublik zu kommen, kam von dem internationalen Missionswerk „Word of Life“, das sich darauf konzentriert, junge Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Matt erfuhr bei „Word of Life“ in den Vereinigten Staaten von Amerika eine umfassende Ausbildung und diente dem Werk schon seit mehreren Jahren. 2002 wurde er nun mit seiner Familie nach Deutschland gesandt, um dort eine einjährige Jüngerschaftsschule, das „Esra-Training“, aufzubauen. Schon ein Jahr später konnte die Pionierarbeit (Matt: „Vieles war provisorisch und wir hatten keine Computer und kaum Mitarbeiter“) beginnen: In einer angemieteten Jugendherberge in Mecklenburg-Vorpommern kamen die ersten jungen Männer und Frauen für ein Jahr „Kompaktbibelschule“ zusammen. Wenngleich die Mitarbeiterzahl, wie Matt sagte, noch sehr gering war, stand vor allem eine Familie den Hurjas zur Seite, die sie bereits aus Amerika kannten: Jo und Su F. mit ihren Kindern. Das Esra-Training hatte seinen Namen von dem Vers aus Esra 7,10 erhalten, wo geschrieben steht: „Denn Esra hatte sein Herz darauf gerichtet, das Gesetz des HERRN zu erforschen und zu tun und in Israel die Ordnung und das Recht des HERRN zu lehren.“ Der Mann Gottes eignete sich Wissen an, setzte dieses in die Tat um und gab es schließlich auch anderen weiter. Im Einklang damit war es das Anliegen des Esra-Trainings, dass seine Studenten in drei Bereichen Fortschritte machten: Wissen, Wachsen und Weitersagen.
Wir werden im weiteren Verlauf der Erzählung mehrfach sehen, welche Bedeutung das Esra-Training noch für die Bibelgemeinde haben sollte, uns nun aber wieder der Familie H. zuwenden und erfahren, wie sie von Mecklenburg-Vorpommern in die Berliner Gemeinde kamen. Matt erzählt, dass der Kontakt bereits früh zustande kam: „Schon 2003 haben wir durch Bekannte Christian, Dieter und Cary kennen gelernt. Jedes Mal, wenn wir dann nach Berlin kamen, um einen unserer Gast-Dozenten vom Flughafen abzuholen, haben wir uns gesagt: ‚Lasst uns doch in die BiGeBe gehen.’ Fast von Anfang an unterrichteten einige der Dozenten sowohl bei uns als auch beim EBTC – wir haben sie uns geteilt.“ Mit einem Jahr Pause 2004/2005 gab es von 2003-2007 drei Esra-Jahrgänge, wovon die beiden letzten allerdings nicht mehr in der Jugendherberge gastierten, sondern in einem Dorfgemeinschaftshaus unterrichtet wurden und in Ferienbungalows übernachteten. Eigentlich war man aber auf Dauer nicht ganz glücklich mit der Situation und suchte nach einem anderen Ort für die Jüngerschaftsschule, wie Petra zu verstehen gibt: „Wir haben WDL[5] gesagt, dass das Esra-Training möglichst nah bei Berlin sein sollte, damit unsere Studenten auch guten Gemeindeanschluss haben.“ Mit etwas Enttäuschung in der Stimme fügt sie hinzu: „Letztlich ist es aber doch etwas von Berlin weggekommen“ und spielt damit auf den Umzug im Sommer 2007 an den Köriser See südlich von Königs Wusterhausen in Brandenburg an.
Das Gelände, mitten in den Wäldern Brandenburgs an einem schönen See gelegen, hatte durchaus seinen Reiz und auch die Gebäude, die früher von der Staatssicherheit genutzt wurden, waren für die Jüngerschaftsschule nahezu ideal. Einzig die doch nicht so kleine Distanz nach Berlin, einschließlich der Autostunde zur BiGeBe, bereitete die einen oder anderen Bauchschmerzen. Familie H. entschied sich dennoch kurze Zeit nach dem Umzug des Esra-Trainings für die Bibelgemeinde, wie Matt erklärt: „Es war für uns schon eine Überwindung wegen der langen Fahrt und dem Kostenfaktor. Aber es ist wirklich schön hier: Die Gemeinschaft, die treue Lehre,… und das Gemeindefrühstück!“
Zu den beiden ersten Gründen wurde schon so manches gesagt, der letzte Grund dürfte allerdings neu sein und bedarf daher einiger Erklärungen: Bereits seit den Anfängen der Berliner Bibelgemeinde pflegten die Geschwister an einem Sonntag im Monat nach dem Gottesdienst bei einem gemeinsamen Mittagessen Gemeinschaft zu haben. Lange änderte sich an dieser Praxis nichts, bis eines Tages Familie G. zum Grillen bei ihnen zuhause einluden. Schon da waren viele BiGeBeler begeistert vom amerikanischen Grillmeister Cary und der Gastfreundschaft seiner Familie. Wegen des kleinen Hauses blieb es damals nur bei einigen wenigen Grillnachmittagen. Als Familie G. dann aber ab 2005 ein neues, großes Haus mit Terrasse und Garten hatte, stand dem regelmäßigen Gemeindegrillen im Sommer nichts mehr im Wege. Cary selbst erzählt sichtlich erfreut: „Das Grillen hat sehr viel Spaß gemacht! Auch haben wir das schöne Wetter und die gute Gemeinschaft mit den Leuten aus der Gemeinde sehr genossen.“ Für die Bibelgemeindler gehörte Familie G. und Grillen seitdem untrennbar zusammen, sodass es schon auch mal vorkam, dass im Gemeindeblatt versehentlich stand: „Am Sonntag… wird bei den Grills gegrillt“…
Doch leider stellten sich auch in diesem Jahr zu gegebener Zeit wieder Herbst und Winter ein, in denen man es vorzog, wieder normal in der Gemeinde Mittag zu essen. Aber auch dies war seit Dezember 2005 nicht mehr möglich wie einst: Die russlanddeutsche Gemeinde veranstaltete ihre Gottesdienste bekanntlich nachmittags, sodass ein Mittagessen in den Gemeinderäumen nicht mehr möglich war. Der aufmerksame Leser ahnt bereits was nun kommen muss: Die Lösung für dieses Problem war im Gemeindefrühstück zu finden, dass seitdem am ersten Sonntag des Monats um 8 Uhr 30 anstelle der Sonntagsbibelstunde stattfand.
Ob Matt wohl auch anderen vom Gemeindefrühstück in der BiGeBe vorgeschwärmt hat? Wie dem auch sei – Sam jedenfalls schwärmt heute auch davon – und er wurde vom Leiter des Esra-Trainings auf die Bibelgemeinde aufmerksam gemacht. Doch der Reihe nach: Wer ist eigentlich Sam? Sein voller Name lautet – ungelogen – Samuel Etienne J.-d.-B. Und woher kannte er Matt? Der junge Mann mit Wurzeln in der Schweiz und in Deutschland war ein Teilnehmer des ersten Esra-Jahrgangs. Im Anschluss daran hatte er in den Vereinigten Staaten das zweite Jahr des Esra-Trainings bei Word Of Life gemacht, welches in Deutschland nicht angeboten wird. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr bei Wort des Lebens am Starnberger See begann Sam schließlich sein dreijähriges Theologie-Studium in Königsfeld im Schwarzwald, nahe Villingen-Schwenningen, von dem aus er ein dreimonatiges Gemeindepraktikum absolvieren sollte.
Dieses nun leistete er von Juli bis September in der Bibelgemeinde, wo er in der Treffpunktarbeit eingesetzt wurde, die Einsätze der Sommerteams unterstützte, organisatorische Aufgaben und auch Lehrdienste übernahm. „Als ich in die BiGeBe kam, dachte ich nur ‚Boah, krasse Gemeinde!’ Erstmal freute ich mich über die langen Predigten: Ich kenne Predigten von 20 Minuten – so lange dauert hier die Einleitung, wenn die Predigt kurz ist. Dann auch der Gemeinschaftsaspekt: Man hat so viel miteinander zu tun. Durch Grillen, Treffpunkt,… und auch die räumliche Nähe in Wartenberg – da ist so viel Jüngerschaft mit dabei! Und schließlich, dass immer ein fester Kern zu den Gebets- und Bibelstunden kommt und man nicht nur zu dritt da sitzt“, erzählt Sam von seinen Eindrücken aus der Zeit in der BiGeBe.
Nach Ablauf des Praktikums verließ er die Berliner Gemeinde wieder in Richtung Königsfeld, um dort sein Studium fortzuführen. Einige Wochen später wurde Sam um seine bessere Hälfte ergänzt: Mirjam (Miri) und er heirateten im schwäbischen Dettingen unter Teck, unweit ihres Heimatortes. Miri hatte wie Sam das Vorrecht, in einem gläubigen Elternhaus früh das Wort Gottes kennen und lieben zu lernen und entschied sich daher, am Jüngerschaftstraining von WDL teilzunehmen – wo sie ihren späteren Ehemann, sowie Familie H. kennen lernte. Während Sams Praktikum kam es auch zu Miris erstem Besuch der Bibelgemeinde in Berlin. Auf deren Bildfläche werden die beiden zu einem späteren Zeitpunkt auch wieder treten, müssen das nächste Jahr nun aber erst einmal alleine, fernab von der BiGeBe, verbringen.
Im Spätsommer 2007 gab es neben dem Ende des Praktikums von Sam einen weiteren Weggang zu beklagen: Die mit 20 Jahren älteste Tochter der Familie B., Stefanie, ging im August 2007 für ein vierjähriges Studium ans Master’s College nach Santa Clarita, im Norden von Los Angeles, nahe bei und in enger Verbindung mit der Grace Community Church.
Bei allem Zustrom aus den Vereinigten Staaten in Person von Familie H. und Familie H., oder den stark von amerikanischen Gemeinden geprägten Familie H., Maria, Juliane und Patricia gab es also auch Wohnortwechsel in die andere Richtung. Vor Stefanie hatte Dany Brodzinski bereits ein Studium bei den gläubigen Dozenten des Master’s College vorgezogen und Amerika zu ihrer neuen Heimat gemacht. Und auch Dirk M., der seit 2004 der BiGeBe angehörte, hielt es nicht in Berlin: Er zog im Frühjahr 2007 mit seiner Familie nach Louisville, Kentucky, um dort auf einem reformatorischen „Seminary“ zu studieren.
Zustrom sollte es dafür aber wieder direkt aus Berlin geben: namentlich durch Uwe und Natascha K., mit ihrem dreijährigen Sohn Stefan. Während seine Frau Natascha in den russischsprachigen Gottesdienst der Geschwister aus der Evangeliumschristengemeinde Wartenberg ging, kam Uwe in die Bibelgemeinde. Obwohl er als Kind getauft wurde, eine Zeit lang in einem katholischen Kinderheim lebte und als Jugendlicher konfirmiert wurde, lebte Uwe bis zum Jahre 2007 „ohne nennenswerte Beziehung zu Gott“, wie er erzählt. In der evangelischen Landeskirche der DDR war ihm kein solches Verständnis vermittelt worden, sodass dem Wissen über Gott und Sein Wort lange der Inhalt fehlte – ehe der Herr ihm zur großen Freude der Geschwister rettenden Glauben schenkte. Da Uwe dieses Wunderwerk Gottes auch alsbald vor der Gemeinde und der Öffentlichkeit bekennen wollte, kam es schließlich am 6. Juli 2008 zur nächsten BiGeBe-Taufe im Malchower See, einige Gehminuten von den Räumlichkeiten der Bibelgemeinde entfernt. Neben dem gebürtigen Berliner bezeugte hier auch Kristin B., Dieters und Kristjanas dritte Tochter, dass sie an den Herrn gläubig geworden war. Halleluja!
Die Taufe ist auch das richtige Stichwort für eine weitere Schwester, Hildegard R., die im Oktober 2007 das erste Mal in die Bibelgemeinde kam. Sie hatte sich zuvor dem diakonischen Werk in Berlin angeschlossen, bekam aber nach einiger Zeit Zweifel über die theologische Ausrichtung desselben: „Ich bin aufgrund von Bibelstunden dahinter kommen, dass sie eine Wiedertaufe ablehnten, wenn ich schon als Kind getauft wurde. Aber ich war bereits biblisch groß getauft – das war für mich ein Gehorsamsschritt. Also habe ich den Herrn Jesus gefragt, ob ich die Gemeinde verlassen soll. Ich habe dann erkannt, dass ich eine bibeltreue Gemeinde brauche.“
Wie sie diese fand ist ausgesprochen bemerkenswert – gibt es doch nicht viele ältere Leute, die sich heute noch mit neuen technischen Entwicklungen befassen und sich auf diese einstellen. Hildegard aber erklärt wie selbstverständlich: „Ich habe mich ans Internet gesetzt und eingegeben ‚bibeltreue Gemeinden in Berlin’. Als allererstes stand dort ‚Bibelgemeinde Berlin e. V.’ Dann las ich mir die Selbstdarstellung und alles durch und habe mir nur gedacht: ‚Na, hoffentlich haben die keinen Haken…’ Ich habe sogleich Dieter angerufen und er kam auch vorbei mit seiner lieben Frau, hat mir Fragen gestellt und – ganz wichtig – mich nicht gesiezt als ich ihm das ‚Du’ anbot, wie es andere Pastoren immer gemacht hatten.“ Diese Nähe unter den Glaubensgeschwistern war es auch, die ihr beim ersten Besuch in der Berliner Gemeinde wichtig war und positiv auffiel: „Ich war besonders beeindruckt, dass sofort Ursula zu mir kam und mich duzte. Gleich danach kam Rosi. Und noch bevor ich meine Jacke ausgezogen hatte, stand Wilhelm bei mir. Mir kam direkt solche geschwisterliche Liebe entgegen – das hat mich sehr beeindruckt.“
Im Rückblick auf ihr hartes Leben ist das gut zu verstehen: Die 72-jährige gebürtige Litauerin, hatte ihren Vater im Krieg und ihre Mutter durch eine schwere Krankheit verloren und musste schon als Kind nach Deutschland fliehen. Mit 26 Jahren heiratete sie – ein Jahr später kam sie zum Glauben. Den beiden Kindern, die ihr bald darauf geschenkt wurden, und ihrem Ehemann versuchte sie auch ein Wegweiser zu ihrem Herrn und Retter zu sein, beklagt aber: „Ich wusste schon manches aus der Bibel, aber kannte nicht den Weg der Heiligung und machte alles Marke Eigenbau. Ich dachte, mit der Wiedergeburt hätte ich alles geschenkt bekommen – das stimmt ja, aber dass ich auch einen Gehorsamsweg zu gehen habe, wusste ich nicht.“ Hinzu kam, dass sie durch mehrere Umzüge immer wieder an neue Orte kam und auch nicht so recht wusste, worauf sie bei Gemeinden besonders zu achten hätte, bzw. wo sie solche finden könnte.
1987 zogen Hildegard und ihr Mann nach Berlin um, sechs Jahre später ließ sich dieser aber von ihr scheiden – er hatte ihren Glauben nicht teilen können und erlebt, was es heißt, im ungleichen Joch zu sein. Hildegard hatte sich schon im Jahre des Umzugs Arbeit gesucht und besuchte ihren Glauben betreffend das diakonische Werk in der Bundeshauptstadt, ehe sie nun also in der Bibelgemeinde gelandet war.
Nachdem die ältere Dame dieser dann schon einige Zeit angehörte, stellte sie fest: „die gehen hier ja ganz schön stramm an das Wort Gottes ran. Ich war es immer gewöhnt, eine weichgespülte Predigt zu bekommen. Cary legte gleich los mit Argumenten und Dieter predigte und erklärte und alles schlug seine Bibeln auf… dann habe ich mal eine Mail an Dieter geschickt, ob er nicht auch etwas lockerer die Predigten gestalten könnte, aber er schrieb mir standhaft zurück, dass er das zu predigen habe, was das Wort Gottes lehrt – und es war genau das, was ich brauchte! Obwohl ich seit 1962 wiedergeboren war, hatte mir nie jemand etwas vom Weg der Heiligung gesagt, von der Notwendigkeit zur Buße, vom Einbringen in die Gemeinde und vom sich selbst Zurücknehmen.“
Was das Einbringen in die Gemeinde betrifft, schaute sich Hildegard die Gemeinde gut an und sah, dass jeder sein Amt hatte. Sie wollte sich „nicht zwischen schieben“, aber sah sich keineswegs als Ausnahme, sondern suchte vielmehr ihren Platz. Eineinhalb Jahre später – mittlerweile hatte sie viel mitgenommen und gelernt – hatte sie ihn gefunden: Im Treffpunkt, wo sie seither begeistert Menschen zu einem Gespräch in den Treffpunkt einlädt oder selbst mit ihnen redet und aus ihrem Leben Zeugnis gibt. Ihr Motiv dazu macht sie mit einer amüsanten und zugleich ernsten Erzählung deutlich: „Ich habe früher immer gebetet, dass ich bitte 90 Jahre werden darf. Jetzt habe ich gelesen, dass Salomo nicht um ein langes Leben gebetet hat. Deshalb habe ich mich jetzt beim Herrn Jesus entschuldigt… Ich wollte einfach nur so lange leben, um ihm mehr zu dienen und mehr zurückzugeben, weil ich bisher so viel versäumt habe.“
Ähnliche Gedanken sind es, die Walter und Erna L.[6] nun beschäftigen – ein wenig jünger als Hildegard, aber auch auf viele, viele Lebensjahre zurückblickend, in denen sie die klare Botschaft der Bibel nicht kannten und ihr nicht gehorchten. Erna wuchs zwar religiös auf, hatte aber keinen rettenden Glauben: „Mein Vater war evangelisch und meine Mutter eine strenge Katholikin: Sie lebte ihren Glauben aus und erzog uns auch so. Damals besuchte ich regelmäßig kirchliche Gottesdienste und der Glaube an Gott gehörte in mein Leben, auch wenn ich die frohe Botschaft, das Evangelium, noch nicht richtig verstanden habe.“ Walter ging es ähnlich: „Mein ganzes Leben lang habe ich schon an Gott geglaubt, aber es war immer ‚irgendjemand da oben’.“
Ändern sollte sich das seit dem Dezember 2007, wie Walter erzählt: „Ich bin mit Erna auf dem Weg zur Bank beim Treffpunkt vorbeigekommen. Wir hatten diesen schon öfter gesehen und haben uns nun endlich entschlossen, auch hineinzugehen. Dort haben wir Cary kennen gelernt und direkt etwas zu lesen mitbekommen. In der Folgezeit gingen wir dann regelmäßig in den Treffpunkt – zuerst nur nachmittags, aber bald auch freitagabends. Seit Anfang 2008 gehen wir auch zum Gottesdienst und zur Bibelstunde in die Bibelgemeinde Berlin.“ Dieses führte zur Wende im Leben der beiden Rentner, wie Ernas Zeugnis Einblick gewährt: „Ich habe zwar schon früh in meinem Leben an Gott geglaubt und auch versucht den Geboten Gottes zu folgen, aber seitdem ich in die Bibelgemeinde gehe, verstehe ich mehr und mehr von der Bibel. Ich habe erst jetzt richtig verstanden, dass ich ein absolut hilfloser Sünder bin, der die Vergebung meines Herrn Jesus Christus braucht.“ Später sollten sie diese Umkehr auch bei ihren Taufen bezeugen können…
…gleich wie ihre erste Tochter Nadja[7], die von ihren Eltern alsbald auf den Treffpunkt und die Bibelgemeinde aufmerksam gemacht wurde. Die 38-jährige war allein erziehende Mutter zweier Töchter, von denen die ältere mit 17 Jahren bereits eigene Wege ging, während die jüngere Tochter Jill [8]erst Ende des Jahres 2007 zur Welt gekommen war. Mit diesem Neugeborenen besuchte Nadja wenige Wochen später den Treffpunkt 180. Ihr war bekannt geworden, dass es dort seit 2008 nun auch einen Mutter-Kind-Treff gab – zu dessen Adressaten sie sich richtigerweise zählte. Dort hörte sie die frohe Botschaft, die im Leben ihrer Eltern so eingeschlagen hatte und berichtet weiterhin, wie es auch in ihr Leben sprach: „Mein Leben war einseitig und der Welt angepasst und ich dachte früher nicht über Dinge nach, die mich heute nachdenklich machen. Jetzt habe ich erkannt, dass es für mein weiteres Leben besser ist, mich dem Herrn als Erretter anzuvertrauen und nach seinen Geboten zu handeln.“ Ein weiteres Schäflein war also zur BiGeBe-Herde gestoßen und hatte mit der kleinen Jill gleich noch ein Lamm mitgebracht, das Bea zufolge aber „schon mit sechs Wochen riesig groß war.“
Bea konnte das wohl ganz gut beurteilen – war sie es doch, die mit der Aufgabe betraut wurde, den Mutter-Kind-Treff zu leiten, wie sie erzählt: „Dieter und Cary haben gesagt: ‚Frauen sollen Kinderarbeit machen.’ Weil ich aber lieber mit Frauen als mit Kindern arbeite, starteten wir das Treffen für Mütter mit Kindern.“ Tatkräftige Unterstützung erhielt Bea dabei von Svenja und Jelena, die als Mütter mit ihren Kindern nicht nur selbst Zielgruppe dieses Treffens an Dienstagnachmittagen waren, sondern auch bei dessen Gestaltung mitwirkten. Svenja erzählt, dass sie gute Gründe dafür hatte: „Es war schön, damit die Kinder eine Veranstaltung haben, bei der sie weiter etwas aus der Bibel lernen können und auch unter der Woche die Gemeindekinder zu sehen und Freundschaften zu diesen zu pflegen. Auch ist es ja ein Bereich, wo ich mich als Mutter einbringen kann – sei es durch Mithelfen oder Einladen.“
Wie sieht das Programm an einem solchen Dienstag aus? „Zuerst singen wir ein paar Kinderlieder und dann gibt es eine Bibelgeschichte, mit der wir uns immer ein Stück weiter in der Bibel vorarbeiten, seit wir ganz vorne mit der Schöpfung begonnen haben“, gibt Svenja uns einen Einblick; „nach der Geschichte beten wir zusammen und da finde ich es schön, dass auch die Kinder in diesem Rahmen beten lernen. Auch wenn man manchmal kaum hört, was sie beten, ist es eine gute Möglichkeit für sie, es zu lernen und sich zu beteiligen. Dann kommt die ganz wichtige Snack-Time, in der es etwas zu essen gibt, und schließlich spielen wir noch zusammen – drinnen oder draußen.“ Während die Kinder spielen, kümmert sich Pascal, der mit Bea den Treffpunktdienst an Dienstagen übernimmt, meist um die erwachsenen Treffpunktgäste und nimmt mit ihnen Lektionen aus verschiedenen grundlegenden Bibelkursen durch. Svenja findet das sehr wertvoll: „Es kommen ja nicht nur Mütter und Kinder, sondern auch andere Erwachsene aus der Gemeinde. Gerade diejenigen, die nicht in einem gläubigen Elternhaus aufgewachsen sind, bekommen dann dort die Möglichkeit, über die übrigen Gemeindeveranstaltungen hinaus noch einiges aufzuschnappen – sowohl bei den Geschichten für die Kinder als auch bei den Gesprächen danach.“
Wie bereits angesprochen, hat mit Familie L. längst der Wechsel ins neue Jahr 2008 stattgefunden. Ehe wir diesen aber gänzlich mitgehen können, müssen noch zwei sehr wichtige Geschehnisse ihre Erwähnung finden – und beide haben mit dem ersten Wort in diesem Satz zu tun: der Ehe!
Zum einen wären da zwei junge BiGeBeler, die in der Gemeinde in erster Linie ihren gerade gefundenen Herrn mehr kennen und lieben lernten, aber anscheinend auch aufeinander ein Auge geworfen hatten: Martin S. und Kathrin S. Doch anders als früher gingen sie längst keine eigenen Wege mehr, sondern suchten Lebensweisheit in Gottes Wort und biblischen Rat von Geschwistern. Schon im Laufe des Jahres 2007 hatten sie sich mehr und mehr kennen gelernt – schließlich kamen beide stets in die Gemeinde und verbrachten insbesondere viel Zeit bei Familie G.: Während Kathrin, die seit Oktober übrigens mit in Marias Wohnung ein Stockwerk tiefer wohnte, sowieso häufig dort war, wurde auch Martin des Öfteren eingeladen. Kathrin erzählt von Annäherungen im Sommer: „Einmal hatte ich mir beim Arbeiten im Hotel den Finger aufgeschnitten und dann habe ich Martin gefragt, ob er mit mir zum Arzt kommt. Auch habe ich immer gewollt, dass er mich nach der Bibelstunde mittwochs nachhause bringt… irgendwann bei einem Picknick fingen wir dann an zu flirten, wobei mich Bea immer ermahnte, dass ich das nicht machen sollte.“
Bis zur Verlobung war es nicht mehr weit, wenngleich diese Geschichte etwas kurios ist, wie Martin erzählt: „Kathrin zeigte mir immer ihren Finger und sagte etwas scherzhaft: ‚Wann kaufst du den Ring?’ Irgendwann, als wir im Treffpunkt waren, sagte ich, dass ich mal los muss. Dann war ich im Lindencenter – und schwupp hatte ich die Ringe.“ An jenem Dienstag, dem 4. Dezember, wusste Kathrin zu dieser Zeit noch nicht von ihrem Glück und auch sonst niemand. Das sollte sich aber bald ändern, erzählt Bea: „Martin sagte Pascal und mir nach dem Treffpunkt, er wolle Kathrin noch etwas sagen und bitte darum, dass wir dabei sein würden. Als wir in unserer Wohnung waren, kniete er dann vor Kathrin nieder, die auf unserer Eckbank saß und fragte sie, ob sie ihn heiraten wolle… Wir waren total überrumpelt!“ Dass Familie G. damit nicht alleine war, weiß Martin noch gut: „Dieter und Cary haben einen Schock fürs Leben bekommen… Aber dann haben sie gesagt, dass sie uns nur trauen, wenn wir einen Ehevorbereitungskurs machen.“ Selbigen haben die beiden dann auch begonnen und Stück für Stück bearbeitet, wobei dies die erste große Herausforderung auf dem Weg zur Zweisamkeit darstellte: „Eigentlich wollte ich lieber gleich heiraten und nicht so viele Sachen durchgehen und ausfüllen“, erklärt Kathrin anfängliche Schwierigkeiten, die sie aber schon bald als schlechte Gedanken verbannen wollte: „Wir haben gemerkt, dass es sehr hilfreich für uns ist, weil wir von uns aus gar nicht auf diese ganzen wichtigen Themen gekommen wären. Und dann wären wir in die Ehe gestolpert und hätten uns böse gezofft. Also haben wir immer alles am Telefon miteinander besprochen und uns dann zum gemeinsamen Durchgehen bei Dieter und Kristjana getroffen.“
Ein anderes Paar, Tom G. und Patricia N., war hingegen bereits einen Schritt weiter und ging noch im Dezember 2007 die Ehe ein: Der Herr schenkte den beiden noch eine (kurze) Zeit des Einsseins auf Erden. Wenngleich das Leiden der jungen Frau kein positives Ende fand, sollte doch ein weitaus positiveres Ende aus ihrer Sicht am 10. Februar 2008 eintreten: Der Herr berief Sein Kind nachhause – ihre Fremdlingschaft auf Erden war beendet. Der Frieden, den Patricia in ihrem Sterben hatte, mischte sich bei ihrem Ehemann und den Geschwistern der Bibelgemeinde natürlich auch mit Tränen des Verlustes. Auf der anderen Seite wussten sie aber alle um den kostbaren Trost, den der souveräne Gott in Seinem Wort spendet, wenn Er uns mit Paulus aufzeigt, welche Einstellung wir zum Leben und Sterben haben können und sollen: „Denn das Leben ist für mich Christus und das Sterben Gewinn. Wenn aber das Leben im Fleisch mein Los ist, dann bedeutet das für mich Frucht der Arbeit, und dann weiß ich nicht, was ich wählen soll. Ich werde aber von beidem bedrängt: Ich habe Lust, abzuscheiden und bei Christus zu sein, denn es ist weit besser; das Bleiben im Fleisch aber ist nötiger um euretwillen.“[9]
Wie dankbar wir für diese Worte des Paulus doch sind! Er hatte wahrlich kein leichtes Leben: Wie er selbst bezeugte, wurde er mehrfach gefangen genommen, geschlagen, ausgepeitscht, erlitt Schiffbruch, Hunger, Durst, Kälte, wurde gesteinigt, und so weiter und so fort. Dennoch lesen wir im Philipperbrief von seiner Entschlossenheit, zu bleiben und auszuharren um der geliebten Geschwister willen – was der Herr ihm auch noch einige Jahre gewährte.
Bei alledem macht der Apostel aber eindrucksvoll deutlich, wie das Leben auf Erden weder sein Ziel noch seine Hoffnung war. In demselben Brief schreibt er in Kapitel 3,20-21: „Denn unser Bürgerrecht ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Retter erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird und seinem Leib der Herrlichkeit gleichförmig machen wird, nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen.“ Paulus war wirklich nicht irdisch gesinnt, sondern ihn verlangte vielmehr nach der himmlischen Herrlichkeit! Deshalb konnte er mit solch einer Gewissheit behaupten, dass er „Lust [hat], abzuscheiden und bei Christus zu sein.“
Auch bei Patricia haben wir diese Sehnsucht nach Gott und „Seinem Wohnort“ sehen können. Aber wie sieht es bei uns aus? Wenn jemand in unsere Gemeinde käme und fragen würde, wer jetzt sofort bereit ist, alles auf der Erde stehen und liegen zu lassen und heimzukehren, wer von uns würde ohne zu zögern seinen Finger heben? Natürlich glauben wir an den Himmel und natürlich freuen wir uns irgendwie auch darauf, abererstmal möchten wir doch das Leben genießen, oder? Vielleicht wären wir in einem Jahr bereit zu gehen, oder auch in einem Monat, und der eine oder andere möglicherweise gar in einer Woche. Aber heute? So eilig haben wir es dann doch nicht!
Schlimm genug, dass jene erdgebundene Perspektive, die der Satan uns Christen in die Ohren flüstern möchte, auch in immer mehr Gemeinden und „christliche Kreise“ eindringt. Schlimm genug, dass statt Selbstverleugnung und einem Verlangen nach geistlicher Erfüllung eine menschenorientierte Theologie gepredigt wird, die verspricht, dass Jesus dich gesund, reich und glücklich macht. Aber noch schlimmer, dass wir darauf hereinfallen und uns keine Schätze im Himmel sammeln, sondern auf der Erde, wo Motten und Rost sie fressen!
Gewiss ist es für einen Christen immer ein Spagat, einerseits nicht in diesem Leben Erfüllung zu suchen, und andererseits auch nicht wie die Thessalonicher mit verklärtem Blick durch die Gegend zu laufen und das Jetzt und Heute zu vergessen, in das uns Gott offensichtlich gestellt hat. In diesem Zwiespalt gibt Paulus uns aber eine große Hilfe, die zugleich ein Schlüssel der oben genannten Verse aus Philipper 3 ist: Erwarten. Dass wir doch diese Gesinnung erlernen, „Christus als Retter [zu] erwarten“ und das, was Sein Kommen mit sich bringen wird: Eine Umgestaltung unseres Leibes der Niedrigkeit in Leiber der Herrlichkeit, gleich Ihm selbst – und gleich unserer Schwester Patricia, wenn sie mit den in Christus Entschlafenen auferstehen wird.
[1] Vgl. Matthäus 7,23b
[2] Jeremia 13,23
[3] Anm.: Name wurde vom Autor geändert
[4] Vgl. Apostelgeschichte 20,31
[5] Abkürzung für „Wort des Lebens“; das deutsche Jugendmissionswerk gehört zur internationalen Jugendorganisation „Word of Life“
[6] Anm.: Namen wurden vom Autor geändert
[7] Anm.: Name wurde vom Autor geändert
[8] Anm.: Name wurde vom Autor geändert
[9] Philipper 1,21-24